„Awareness ist kein Status genau so wenig wie Allyship, es sind aktive Tätigkeiten.“



Interview and text von Sophie Kübler | 17.06.2022

In
Konversation mit Fluid
Festival



Voneinander und miteinander lernen. Heterotopie e.V. schafft unter dem Namen Fluid Festival einen kulturellen Raum für Safer Spaces in der Clublandschaft und bringt Workshops, Kunst und Musik mit den Künstlern CCL, Sedef Adasi, Felicitas Butt, Nahyun Park, Jamie Tiller, Bin und vielen mehr zusammen.

Die letzten zwei Jahre wurden von zwei Räumen beherrscht. Ein sehr enger Raum - das Zuhause - und der unendliche Raum - das Internet. Zwei Extreme, die ihren Nutzern Verantwortung abverlangen, damit sie für den Einzelnen und in der Gemeinschaft funktionieren.

Heterotopie e.V. schafft mit dem Namen Fluid Festival einen kulturellen Raum für sicherere Räume in der Clublandschaft. Gesellschaftliche Konventionen zu brechen, Begegnungsräume zu schaffen und mit einem vielfältigen Programm auf Leerstellen in der (Rave-)Kultur aufmerksam zu machen, ist der Fokus der mittlerweile fast 40-köpfigen Crew, die das Fluid Festival trägt. Mit Verbindungen zu erfahrenen Menschen aus den Bereichen Awareness und Antidiskriminierung sowie der Perspektive von Betroffenen kommt ein breites Spektrum an Einblicken zusammen, das sowohl das Konzept als auch gesellschaftliche Impulse schafft.

Im Laufe von zwei Jahren haben sich innerhalb der Organisation kleine Teams gebildet, die die Idee eint, von- und miteinander zu lernen, Wissen zu entwickeln und zu teilen. Ein progressives Line-up aus lokalen Szenen versammelt die Tanzgemeinschaft.

Das Thema mag alt sein, aber die Sichtbarkeit, das Bewusstsein und die Räume schaffen wichtige Aktionen und Menschen wie das Fluid Festival. Veränderungen in der Kultur und im kulturellen Umfeld können sich nur entwickeln und ausbreiten, wenn diese Veränderungen auch zum Anlass genommen werden, sich zu treffen und daraus neue Bewegungen entstehen. Nur so kann eine gesunde und nicht diskriminierende Feiergemeinschaft wachsen.

Am 24 - 26. Juni auf dem „Zurück Zu den Wurzeln Festival Gelände“ in Brandenburg, nahe Berlin findet das Fluid Festival statt. Eingeladene Gäste sind unter anderem CCL, Sedef Adasi, Felicitas Butt, Nahyun Park, Jamie Tiller, Bin und viele mehr.

Was das Ziel ist, wer daran beteiligt ist und wann das Festival entstanden ist, erzählt und das Team im Interview. 






Image by: Mathilda Noelia 

Der Sommer kommt und wir haben endlich wieder Raum uns auszubreiten, tanzen, uns in Gesellschaft miteinander zu treffen…

Raum ist hier ein wichtiger Punkt, weil die letzten zwei Jahre in einem sehr engen Raum - zu Hause - zum einen, und in einem endlosen Raum - dem Internet - zum anderen, stattgefunden haben. Der Heterotopie e.V. hat daher das Fluid Festival organisiert, um nach einer langen Zeit der Distanz wieder einen gemeinsamen Raum zu schaffen, in dem sich jede Person wohl fühlt.

**Wieso ist diese Art von Raum in dieser Zeit so wichtig?**


Insbesondere die Menschen und die Kulturlandschaft haben unter den Beschränkungen der Pandemie gelitten, was unsere Entscheidung ein Festival ins Leben zu rufen nur bestärkt hat. Die Idee einen solchen Raum zu eröffnen, beruht aber vor Allem darauf, dass wir Begegnungsräume schaffen möchten. Einen Ort, der mit sozialen Konventionen bricht und einen Raum bietet, an dem sich jede*r wohlfühlen kann.


**Könnt ihr Menschen, die vielleicht nichts über das Fluid Festival wissen, etwas über eure Arbeit und euch selbst erzählen?**


Wir sind mittlerweile ein festes Team von ungefähr 40 Personen, die seit mehr als zwei Jahren ausschließlich ehrenamtlich arbeiten. Das zeigt die Vision und auch die Passion, die mit dieser Arbeit einher geht. Uns alle verbindet das Interesse an Musik, Kunst und Kultur im Allgemeinen, sowie der Gedanke gemeinsam von- und miteinander zu lernen. Das Fluid Festival bietet für uns große Potenziale, Wissen zu erarbeiten und zu teilen. Wir betrachten das Projekt vor Allem als Lernprojekt, mit dem Ziel, uns als Fluid Festival fest in der Kulturlandschaft zu verankern, um Künstler*innen und DJs eine Plattform zu geben und um Besucher*innen eine gute Zeit zu schenken.


**Das Projekt gibt es schon seit fast zwei Jahren und vereint im Kern nicht nur verschiedene Menschen und Perspektiven zu Safer Spaces, Räumen und Awareness auf elektronischen Tanzveranstaltungen. Durch die Arbeit mit bspw. WirMüsstenMalReden hat Fluid auch einen politischen und sozialen Anstoß. Was ist das Wirkungsfeld von Fluid und welche Ziele verfolgt ihr mit dem Projekt? Gibt es vielleicht höhere Ziele, die dadurch erreicht werden könnten?**



Neben dem Erhalt und dem Beitrag zur Kultur, möchten wir einen Ort kreieren, in dem sich Menschen ihrer unterschiedlichen Positionen und Privilegien in der weißen, cis-heterodominierten Gesellschaft bewusst sind.

Zusammen mit erfahrenen Menschen, die Expertise im Bereich Awareness und Antidiskriminierung mitbringen und/oder aus Betroffenenperspektive sprechen, möchten wir einen Raum schaffen, der das Fluid Festival zu einem möglichst geschützten und diskriminierungsarmen Ort macht und safer/braver spaces schafft. Wir dulden kein Verhalten oder Äußerungen, die homo-, trans*-, nicht binär- oder frauenfeindlich sind. Wir sind gegen Diskriminierungs- und Rassismusformen auf unserem Festival, die wir hier klar benennen: Anti-Schwarzer Rassismus, Jüd*innenhass/Jüd*innenfeindlichkeit, Anti-Muslimischer Rassismus, Anti- Rom*nja und Sinti*zze Rassismus, Anti-Asiatischer Rassismus, Slawismus, Cissexismus, Ableismus, Ageismus, Adultismus, Lookismus und Colorism. Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung, Geschlechterkonstruktion, race, Staatszugehörigkeit, sozio-ökonomische Lebensbedingungen und Religion.

Durch dieses klare Aufzeigen und Bewusstmachen, möchten wir auf die Leerstellen der (Rave-)Kultur aufmerksam machen und ein Festival ermöglichen, das Menschen und ihre Communities sicherer fühlen lässt.

Dazu sei angemerkt: Das Fluid Team besteht zu einem sehr großen Teil aus weißen cis Menschen mit einem mehrheitlich akademischen Hintergrund und deutscher Staatsbürger*innenschaft. Unsere Gruppe vertritt queere und hetero Perspektiven. Mit diesen Machtdynamiken setzt sich das Team aktiv auseinander und ist im Prozess, das Konzept von Allyship und Powersharing zu erlernen und zu erarbeiten.




Image by Tim Schütze

**Die Grundidee entstand zu Beginn in zehn Köpfen, die unterschiedliche Kompetenzen mitbrachten. Durch den Zuwachs organisiert ihr euch mittlerweile in Form von Kleinteams und wirkt neben euren einzelnen Kernkompetenzen auch in anderen Fachbereichen mit. Welche Bereiche sind das und wie wirkt sich diese Methode auf das Arbeitsumfeld aus? Gibt es eventuell Anekdoten oder Situationen die euch einfallen, wo diese Arbeitsweise besonders gut funktioniert hat?**


Über die zwei Jahre bildeten sich fest etablierte Kleinteams, die für verschiedene Zuständigkeitsbereiche ‚den Hut auf haben‘. Viele Personen wirken aber nicht nur in einem Kleinteam mit, da wir nicht nur Kompetenzen nutzen, sondern auch fördern wollen. So sind viele Menschen auch Teil eines Teams ohne vorheriges Wissen mitzubringen, sondern um sich dieses dort gemeinsam zu erarbeiten. Folgende Kleinteams sind bei uns fest verankert: Awareness & Our Space, Musikbooking, Entwicklung & Projektmanagement, Förderung, Kunst, Nachhaltigkeit, Finanzen, Gestaltung, Produktion, Gastro, PR und Plasma (Programm & Gestaltung).

Ein Festival erfordert, neben der Arbeit in diesen Kleinteams, hauptsächlich Schnittstellenarbeit. Hierzu ist eine gute, transparente und auch protokolierte Kommunikation maßgeblich für eine optimale Zusammenarbeit, was während der Pandemie und auch durch die demographische Zusammensetzung unseres Teams, schwer umzusetzen war. Wir arbeiten aber seit einiger Zeit auf notion, einem Projektmanagementtool, was uns die täglichen Aufgaben erleichtert hat.

Optimal ist es natürlich, wenn die Schnittstellenarbeit bei einer Person liegt, die sowohl dem Team A, als auch dem Team B zugehörig ist. Dies ist gar nicht so unüblich bei uns. So gehen keine Informationen verloren und die Kommunikation fällt weg.


**Fluid schreibt auf der Website, dass ihr euch mit Allies und Powersharing auseinandersetzt und habt daher auch andere Kollektive aufgerufen, mitzumachen. Das heißt es kommen ganz viele unterschiedliche Stimmen und Perspektiven zusammen, was eine ganz hervorragende Grundlage für euer Projekt ist. Welchen Vorteil hat es eurer Meinung nach auch andere mit ins Boot zu holen?**


Es geht hierbei nicht um Vorteile, sondern darum, dass wir als Team eine relativ homogene Personengruppe sind und sehr wenig Varianz in den Perspektiven abdecken. Wir sind uns dessen und unserer Privilegien bewusst und möchten, genau aus diesem Grund, versuchen, den Raum zu öffnen und auch andere Menschen auf ihre Positionen in der weißen cis-heterodominierten Gesellschaft aufmerksam zu machen. Außerdem bieten andere (betroffene) Perspektiven immer wieder die Chance, weitere Verlernprozesse anzuregen. Denn nur so können wir unser Ziel, das Fluid Festival zu einem möglichst geschützten und diskriminierungsarmen Ort zu machen und safer/braver spaces schaffen, realisieren. Mit unserem Festival versuchen wir den Ansatz von Powersharing und Allyship zu erlernen, zu etablieren und langfristig ein Konzept zu erarbeiten und umzusetzen. Dafür setzen wir uns fortlaufend auch teamintern mit diesen Themen auseinander und organisieren gemeinsame Fortbildungen.


**Zurzeit gehen in Berlin auch die Nachrichten von Spiking rum, was eine enorme Gefahr darstellt für alle Beteiligten an einer Veranstaltung. Das ist aber nur eine Problemzone von vielen, die ein Awarenessteam auf Veranstaltungen notwendig machen. Ihr habt auch ein Awareness Team auf dem Festival, das sich um die Anliegen der Besuchenden kümmert und im Notfall eingreift und zur Hilfe kommt. Was sind Situationen die ihr beim Namen nennen könnt, bei denen jemand sich nicht scheuen sollte, das Awareness Team aufzusuchen?**


Prinzipiell kann sich in jeder Situation, in der sich ein*e Besucher*in nicht wohl oder sicher fühlt oder eine unangemessene Situation auf dem Festival aufgefallen ist, allen sichtbaren Teammitgliedern des Festivals (Awarenessteam, Barteam, Toilettenteam, Psycareteam, Security, etc.) anvertrauen.

Hierbei geht es nicht nur um Situationen, in denen z.B. der Kreislauf einer Person instabil ist, sondern auch um das Einhalten persönlicher und individueller Grenzen und Bedürfnisse. Sollten diese überschritten worden sein, handeln wir nach dem Prinzip der Machtdefintion. Wir glauben immer der betroffenen Person und unterstützen sie darin, die Situation nach ihren Wünschen und Bedürfnissen zu lösen. Hierunter fallen u.A. auch sexuelle Übergriffe, Beleidigungen, sowie jegliche Form von Diskriminierung, ebenso wie psychische und physische Gewalt.


**. Das Line Up ist sehr progressiv, bringt viele Künstler*innen aus verschiedenen Teilen der Welt zusammen und vor allem sind viele auch Teil von anderen Kollektiven oder bekannten Gruppen in der elektronischen Musik Szene aus Berlin. Wer hat bei euch die Kuration übernommen und gab es eine musikalisches Ziel dabei?**


Input für das Line-Up wurde im ganzen Team gesammelt und letztendlich dann von zwei Personen aus dem Team kuratiert und umgesetzt. Da wir selber in der elektronischen Musik Szene verwurzelt sind, wollten wir, dass sich das auch in unserem Line-up reflektiert. Wir setzten nicht auf große Headliner, sondern auf progressive DJs aus lokalen Szenen, weil es auch hier darum geht, ein Gefühl der Gemeinschaft zwischen DJs und Tänzer*innen zu ermöglichen. Musikalisch wollen wir keine Schablonen bedienen, sondern haben bewusst DJs gebucht die gerne neue Wege gehen und überraschen, wobei der Fokus immer auf der Tanzbarkeit bleibt. Das bewegt sich dann in allen Subgenres zwischen House, Techno, Electro und Disco.

Wir wollen die Diversität abbilden und haben deswegen darauf geachtet, dass unser Line-up nicht von weißen cis-Männern dominiert wird. Außerdem versuchen wir keine Artists einfliegen zu lassen, was natürlich Auswirkungen auf die Auswahl der Künstler*innen hatte. Prinzipiell möchten wir auch jungen, noch nicht so etablierten Artists eine Bühne bieten.


**Auf dem Festival bekommen verschiedene Kunstformen und Formate im Programm einen Platz. Könnt ihr uns eine kleine Vorschau geben, wen ihr eingeladen habt, mit welchem Werk neben der elektronischen Musik?**


Bei uns sind fünf Künstler*innen vertreten, die ihre Werke durch verschiedene Medien präsentieren werden. Dabei sind Felicitas Butt, Nahyun Park, Paula Eggert & Lukas Hartmann und Mathilda Noelia, unter Anderem mit Fotografie und verschiedenen Formen von Installationen. Wir haben auch für ein abwechslungsreiches Programm gesorgt, das (politisch) bildend, sowie spannend ist - mit einer Lesung, einem Live Podcast, einem Screening, einer tänzerischen Choreographie, Walk-In Tattooing und verschiedenen Workshops von: Şeyda Kurt, Futur Drei, Juicy, Body Textures, Queering the Perspective, (In) Submission, Tanja Sova and Venus Vigital.

Weitere Infos findet ihr aber auch unter fluidfestival.de (http://fluidfestival.de) oder auf unserer Instagram Seite @fluidfestival.

**Was glaubt ihr welches Element besonders viel Empowerment bringt?**


Wir sind davon überzeugt, dass die Kombination der verschiedenen Elemente empowering sind. Hervorheben möchten wir einerseits die Our Spaces, zwei safer/braver spaces, die jeweils Räume für diese Communities schaffen, die nicht nur Rückzug, sondern vor allem Empowerment ermöglichen sollen. Auch sind wir stolz darauf, dass wir nicht nur ein Musikbooking, sondern auch Installationskünstler*innen und ein vielfältiges Programm – von Lesung, über Walk-In Tattooing  bis hin zu spannenden Workshops am Wochenende des 24.-26. Juni berücksichtigen. Außerdem ist es uns wichtig, in der heteronormativ-geprägten Technoszene, Raum und Sichtbarkeit für FLINTA+ und Bi_PoC DJs zu schaffen.


**Was sagt ihr Verbündeten, die aufrichtig Safer Spaces supporten wollen?**


Awareness ist kein Status genau so wenig wie Allyship, es sind aktive Tätigkeiten. Wenn du dazu beitragen möchtest, safer spaces zu schaffen ist es wichtig, dir deiner eigenen Privilegien bewusst zu sein und dich kontinuierlich mit diesen und ihrem Wirken auseinanderzusetzten. Es geht darum Menschen zuzuhören und ihnen space zu geben, darum zu erkennen und anzuerkennen, dass Gewalt- und Machtverhältnisse nicht aufgelöst, aber dass sie sichtbar gemacht werden können. Darum, sich gegenseitig zu unterstützen und dadurch gemeinsam safer und braver spaces zu schaffen - Räume, die durch die Verantwortungsübernahme jeder einzelnen Person als möglichst sichere und empowernde Orte erlebt werden können.









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Kontakt: sophie@nsns-magazin.de